Stellungnahmen 2015

EuGH-Urteil zu "Safe Harbor" ist positives Signal für Datenschutz europäischer Prägung/"Binding Corporate Rules" kein Ersatz auf angemessenem Schutzniveau

12.10.2015

Stellungnahme der TeleTrusT-AG "Cloud Security"

1. Gut zwei Jahre hat es gebraucht seit den ersten Enthüllungen von Edward Snowden, jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine in ihren möglichen Auswirkungen weitreichende Feststellung getroffen: Die USA bieten aus europäischer Sicht "kein angemessenes Schutzniveau für personenbezogene Daten".

Das EuGH-Urteil schreibt ein Stück Rechtsgeschichte. Ausgangspunkt des Verfahrens war eine an die irische Datenschutzbehörde gerichtete Beschwerde des österreichischen Bürgers Maximilian Schrems gegen die Übermittlung seiner bei Facebook gespeicherten Daten in die USA, mit der Begründung, dass im Hinblick auf die von Edward Snowden enthüllten Tätigkeiten der Nachrichtendienste der USA, insbesondere der NSA, davon auszugehen sei, dass die Daten in den USA nicht hinreichend vor Überwachungstätigkeiten der dortigen Behörden geschützt seien. Die irische Behörde wies die Beschwerde seinerzeit mit dem Hinweis zurück, durch das "Safe Harbor"-Abkommen sei ein angemessenes Schutzniveau in den USA gegeben. Dieser Begründung hat der EuGH nun die Grundlage entzogen und die sog. "Safe Harbor"-Regelung gekippt. Der EuGH kassierte das bereits vor zwölf Jahren von der EU-Kommission installierte "Safe-Harbor"-Abkommen mit den USA.

2. Die Begründung der höchstrichterlichen Instanz der Europäischen Union ist beachtlich: In Bezug auf die Beschwerde stellt das Gericht fest, dass ab sofort die (zuständige) irische Behörde sorgfältig zu prüfen habe, ob die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus dem EU-Raum auf amerikanische Server nicht auszusetzen sei, "weil dieses Land kein angemessenes Schutzniveau für personenbezogene Daten bietet."

Gleichzeitig greift das Gericht die Europäische Kommission an: "Die Kommission hatte keine Kompetenz, die Befugnisse der nationalen Datenschutzbehörden […] zu beschränken." Damit stärkt dieses Urteil die Befugnisse und die Unabhängigkeit europäischer Datenschutzbehörden, da sie nun nicht (mehr) an die "Safe-Harbor"-Regelung gebunden sind.

3. Das Urteil hat für den transatlantischen Datenaustausch und insbesondere für US-Internetunternehmen sowie US-Cloud Service Provider Konsequenzen. Mindestens dürfte die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA auf Basis der "Safe Harbor"-Regelung ab sofort als unzulässig gelten. Mit Blick auf die Begründung des EuGH könnte das Urteil aber auch Auswirkungen auf die vor allem von großen Unternehmen, insbesondere multinationalen Konzernen und Organisationen, gern genutzten "Binding Corporate Rules" haben. Die "Binding Corporate Rules" sollen ein Rahmen für verbindliche Richtlinien zum Umgang mit personenbezogenen Daten sein. Wenn ein Unternehmen seine "Binding Corporate Rules" von europäischen Datenschutzbehörden verifizieren lässt, dann dürfen auf Grundlage dieser festgelegten Richtlinien Daten in Drittstaaten, z.B. in die USA, übermittelt werden.

Der EuGH hebt jedoch kritisch hervor, dass "amerikanische Unternehmen ohne jede Einschränkung verpflichtet sind, die […] vorgesehenen Schutzregeln unangewendet zu lassen, wenn sie in Widerstreit zu Erfordernissen [der nationalen Sicherheit, des öffentlichen Interesses und der Durchführung von Gesetzen der Vereinigten Staaten] stehen". Damit sind die "Binding Corporate Rules" eben nicht "Binding", wenn es um den Schutz der Daten gegenüber amerikanischen Behörden geht, sondern nicht viel mehr als ein Papiertiger.

Zudem stellt der EuGH fest, dass die in den USA möglichen Zugriffe von Behörden auf diese Daten nicht auf das in der EU geforderte "absolut Notwendige" beschränkt seien, "wenn sie generell die Speicherung aller personenbezogenen Daten sämtlicher Personen, deren Daten aus der Union in die Vereinigten Staaten übermittelt werden, gestattet, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des verfolgten Ziels vorzunehmen." Gemeint ist die anlasslose Massenspeicherung von Daten durch die NSA.

Mit anderen Worten: Wenn Daten in die USA übermittelt werden, dann unterliegen diese Daten uneingeschränkt dem Recht der USA, ganz gleich, ob es "Binding Corporate Rules" gibt oder nicht. Da das diesbezüglich geltende Recht der USA nach Ansicht des EuGH kein ausreichendes Datenschutzniveau gewährleistet, wäre nach EU-Recht damit die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA generell unzulässig.

Wenn die "Safe-Harbor"-Regelung amerikanischen Gesetzen entgegensteht oder im Widerspruch zur nationalen Sicherheit oder zum öffentlichen Interesse steht, sind dortige Unternehmen ohne jede Einschränkung verpflichtet, die in der Regelung vorgesehenen Schutzmaßnahmen unangewendet zu lassen." Eine Regelung verletzt den "Wesensgehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens", wenn sie es Behörden gestattet, generell auf den Inhalt elektronischer Kommunikation zuzugreifen.

4. Europäischen Firmen, die auch weiterhin ihre personenbezogenen Daten ausschließlich in Deutschland oder der europäischen Union verarbeiten, wird mit dem Urteil der Rücken gestärkt. Und auch Initiativen wie das TeleTrusT-Qualitätszeichen "IT Security made in Germany" erhalten die Bestätigung, dass der Datenschutz ein hohes Gut ist, das nicht ausgehöhlt werden darf.

5. Das EuGH-Urteil ist eine Chance auf Verbesserung der aktuellen Situation. Insgesamt gesehen bringt der EuGH neuen Schwung in die seit etwa zwei Jahren laufenden Verhandlungen um eine neue Safe-Harbor-Regelung, aber auch in den TTIP-Verhandlungen dürften Datenschutzaspekte nun eine stärkere Gewichtung erhalten, vermutlich oder hoffentlich zugunsten europäischer Standards.


TeleTrusT warnt vor Absenkung des IT-Sicherheitsniveaus durch TTIP

09.03.2015

Das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen (TTIP) wird in der öffentlichen Diskussion zu Recht einer kritischen Betrachtung unterzogen. TeleTrusT warnt davor, dass TTIP zu einer Absenkung der deutschen bzw. europäischen Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards führen könnte.

In Verbindung mit TTIP befürchtet TeleTrusT einen Verlust hoher europäischer Qualitätsstandards. Dies betrifft die Gebiete Datenschutz und IT-Sicherheit sowie die aus TTIP abzuleitende IT-Standardisierung. TTIP beinhaltet den Ansatz, dass sich die Verhandlungsparteien auf Standards einigen werden, nach denen ein Marktzugang für Produkte und Dienstleistungen auch im IT-Bereich sichergestellt sein wird. Hieraus ergeben sich wichtige Impulse für die nationalen Vorgaben an IT-Sicherheitsprodukte.

Das Thema IT-Sicherheit und im Besonderen das zentrale Element Kryptoalgorithmen sind in Bezug auf TTIP aufmerksam zu beobachten. Dies unter dem Aspekt, dass nationale Institutionen - wie z.B. in Deutschland das BSI - als Sachwalter hoher Standards nicht direkt in die Verhandlungen involviert ist, sondern ihre Vorstellung den Verhandlungsführern der EU-Kommission erst nahebringen müssen, um zu vermeiden, dass TTIP in diesem Zusammenhang durch amerikanische NIST-Standards geprägt wird. Wenn dies nicht mehr zu verhandeln wäre, würde es die gesamte deutsche IT-Sicherheitsindustrie betreffen.

TeleTrusT geht von folgenden Prämissen aus und versteht sie als Handlungsaufforderung an die politischen Entscheidungs- und TTIP-Verhandlungsträger:

  1. Die ITK-Industrie profitiert von globalen Standards und globalen technischen Spezifikationen, aber die TTIP-Verhandlungen dürfen nicht im Wege politischer Zugeständnisse in eine Abwärtsspirale für IT-Sicherheitsstandards münden.
  2. TTIP darf in Bezug auf IT-Sicherheit nicht zu einem geringeren Sicherheitsniveau für kommerzielle IT-Produkte führen, insbesondere nicht zu schwächeren Kryptoalgorithmen.
  3. Grundsätzlich ist ein Handelsabkommen zwischen den USA und der EU zu begrüßen. Die Snowden-Affäre hat aber deutlich werden lassen, dass Europa sich nicht auf das grundsätzliche andere 'Privacy'-Verständnis der USA einlassen sollte.
  4. Bei Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums ist zu erwarten, dass deutlich mehr Daten, insbesondere personenbezogene Daten, zwischen der EU und den USA hin- und herfließen werden. Dies darf nicht ohne abgestimmtes Datenschutzverständnis geschehen. Das Fehlen einheitlicher Standards würde ansonsten zu unterschiedlichen, wettbewerbsverzerrenden Anforderungen an Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks führen.
  5. Der liberalisierte Zugang zu öffentlichen Aufträgen darf die nationale digitale Souveränität nicht gefährden. 

TeleTrusT: Staatlicher Zugriff auf Verschlüsselung ist kein zielführender Ansatz

26.01.2015

Die aktuelle Diskussion bezüglich staatlicher Einflussnahme auf Verschlüsselung mag angesichts der aktuellen Bedrohungslage von der grundsätzlichen Motivation her zwar nachvollziehbar erscheinen, gleichwohl bedarf das Thema "Verschlüsselung" der sorgfältigen Güter- und Interessenabwägung. Der Ansatz, bei Nutzung von Verschlüsselung dem Staat Schlüsselzugang gewähren, beachtet unzureichend die politische, rechtliche und technische Dimension. Derartige Erwägungen sind nicht zielführend. Die Politik sollte Konsultationsangebote der Fachleute nutzen.

Aus Sicht von TeleTrusT stehen die politischen Forderungen im Gegensatz zur Absicht der "Digitalen Agenda" der Bundesregierung, Deutschland zum Verschlüsselungsstandort Nr. 1 zu entwickeln. Sicherheitsbehörden haben durch das G10-Gesetz - nach richterlichem Beschluss - ohnehin schon weitreichende Zugriffsmöglichkeiten auf Providerdaten. Regelungen zur Schlüsselhinterlegung oder zur verpflichtenden Implementierung von Zugangsmöglichkeiten für Sicherheitsbehörden würden das sowieso schon angeschlagene Vertrauen in die IT-Wirtschaft und den Schutz durch staatliche Stellen weiter erschüttern. Ohnehin würden dadurch lediglich bestehende, bislang vertrauenswürdige IT-Technologien und -Standards geschwächt, und es ist davon auszugehen, dass kriminelle oder terroristische Organisationen auf andere Möglichkeiten der Kommunikation ausweichen. Folge wäre dann lediglich eine flächendeckende Schwächung der Kryptolandschaft und der IT-Sicherheit unserer Gesellschaft.

TeleTrusT hält eine Einschränkung von Verschlüsselung bzw. ein Verbot starker Verschlüsselung in der Praxis nicht durchführbar, nicht zweckmäßig und verfassungsrechtlich bedenklich. Ein solches Verbot bedingte eine Reihe von Ausnahmen und Abgrenzungsschwierigkeiten, z.B. hinsichtlich Gesundheitsdaten, Mandantenschutz bei Rechtsanwälten oder Quellenschutz bei Journalisten. Wie soll aber in der Praxis zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Hinterlegung der Schlüssel bzw. Nutzung der Schlüssel durch staatliche Stellen im Einzelfall unterschieden werden, wenn die Daten doch verschlüsselt sind? Wie soll ein Unterlaufen des Verbots, z.B. durch Steganografie, verhindert werden? Insbesondere wäre völlig unklar, wie eine Schlüsselhinterlegung technisch und rechtlich im Rahmen des grenzüberschreitenden Datenverkehrs greifen soll, insbesondere, wenn er durch "unsichere" Länder erfolgt?

Ein universeller Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation könnte - wenn überhaupt - nur über eine Fülle von nachhaltigen Eingriffen in die Internet-Infrastruktur sichergestellt werden. Im Internet werden ca. 15 % aller IP-Pakete verschlüsselt; der größte Teil mit SSL, z.B. die Verbindung zwischen Browsern und Web-Servern und ein kleinerer Teil mit IPSec für die Sicherung der Kommunikation zwischen Unternehmen oder Unternehmensteilen. Dies ist bei Weitem zu wenig. Es ist an der Zeit zu erörtern, wie das Risiko eines Schadens für Bürger und Unternehmen im immer wichtiger werdenden Internet auf ein akzeptables Maß reduziert werden kann, z.B. durch stärkere Verbreitung und Nutzung von Verschlüsselungsanwendungen.

Eine Gesellschaft, die durch ihre freiheitliche, demokratische Verfassung auf die Eigenverantwortung des Einzelnen setzt, benötigt die Gewissheit, dass der Einzelne seine Privatsphäre wirksam schützen kann. Ungeachtet dessen muss sie darauf vertrauen können, dass auch die staatlichen Stellen ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag zum Schutz der Grundrechte der Bürger hinreichend nachkommen.